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Digitalisierung – Totengräber des Fachhandel

«Droht durch die rasante Ausbreitung des Online-Handels eine weitere Verarmung der Städte?», fragt beispielsweise die NZZ in ihrem Artikel vom 30. Mai 2017.

Die Grossverteiler wiederum machen den Einkaufstourismus und Markteintritt von Aldi und Lidl für das «Lädelisterben» und somit für den Wegfall der Vielfalt an Fachgeschäften in Städten und Dörfern verantwortlich.

Je nach Eigeninteressen oder einem nicht vorhanden Eingeständnis sind die Gründe für den Niedergang schnell gefunden und werden medial zweckbestimmend weiterverbreitet. Im Besonderen die Grossverteiler nutzen ihre Marktdominanz und tragen dank enormen Werbebudgets ihre (Eigen-)Interessen über die Medien in die Wohnzimmer von Schweizer Konsumenten.

Der Onlinehandel bestätigt, was längst Gegenwart ist

Der Niedergang der Vielfalt an (Fach-)Detailisten hat in den 80-er Jahren eingesetzt und sich kontinuierlich über viele Jahre fortgesetzt. «Lädelisterben», die Folge einer Marktdominanz von Migros und Coop.

Begonnen hat das «Lädelisterben» mit Geschäftsaufgaben von kleinen und mittleren Lebensmittelläden. Es folgten Übernahmen und zugleich Wegfall von Warenhäusern wie EPA und ABM in mittelgrossen Städten und seit Beginn der Nullerjahre betrifft es auch Fachgeschäfte.

Marktdominanz Migros und Coop

Masken sind Gesichter, die nicht lügen, so ein Zitat von Manfred Hinrich (1926 – 2015).  Die Grossverteiler Migros und Coop beherrschen perfekt das Wechselspiel; Je nach Interessensziel, online wie stationär.

Horizontale Marktkonzentration

Filialen von Migros und Coop in Städten und Dörfern. Ausbau des Filialangebots ohne Ende. Für zahlreiche Dorfmetzger, Dorfbäckereien, Gemüseläden etc. war die Marktpräsenz einschneidend mit Konsequenz von Geschäftsaufgaben. Übrig bleiben nur wenige.

Fachmärkte von Migros und Coop setzten dem lokalen Gewerbe weiter zu: Sport, Elektronik, Blumen-/Garten, Baumarkt, Möbel, Benzin-/Heizöl und Gastronomie.

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Coop im Überblick. © coop.ch – Zugriff: 08.01.2018

Mit Frischmärkten wie Fleisch, Käse, Milchprodukte, Obst und Gemüse wird die horizontale Marktkonzentration weiter fortgesetzt.

Öko boomt, dennoch droht innovativen Bioläden das Aus. Wer Bio kauft, geht meist zu Coop und Migros. Inhabergeführte, regionale Bioläden haben mit dem veränderten Kaufverhalten das Nachsehen.

Nach den Detailisten und das Gewerbe: Neu setzt beispielsweise Migros auf Velofachgeschäfte mit integrierter Werkstatt. Besonders im Zürcher Oberland sind unabhängige Velofachgeschäfte stark präsent – von der Migros nun stark bedrängt.

Vertikale Marktkonzentration

Migros und Coop begnügen sich längst nicht nur mit der horizontalen Marktkonzentration: Lokale und regionale KMU werden stark bedrängt. Das heisst, die Herstellung von Produkten wird gleich selbst gemacht: Broterzeugnisse, Fleischverarbeitung, Getränkeherstellung, Milcherzeugnisse et cetera.

«Coop eröffnet gewaltige Grossbäckerei in Schafisheim», so die Handelszeitung vom 23. Juni 2016. Wer nun meint, das betrifft Einschränkungen und Schliessungen ausschliesslich für das Aargauer Gewerbe, der täuscht sich. In der Grossbäckerei werden Erzeugnisse hergestellt für die Gesamtschweiz. Die Bäckerei beispielsweise in der Bündner Surselva könnte das durchaus vor dem Aus stehen.

Migros und Coop – Onlinehandel

Für Coop und Migros ist der Onlinehandel kein Verursacher des strukturellen Wandels, wie die Medien stets schreiben. Was an und für sich auch meine Einschätzung ist. Migros und Coop sind aus einem anderen Grund zu diesem Thema zurückhaltend: Die beiden Grossverteiler expandieren enorm im Online-Handel.

Einerseits werden Abwanderungen aus dem stationären Handel durch die eigenen Onlinekanäle kompensiert. Anderseits wird mit geballter Finanzkraft mit Zukäufen kräftig in den zuvor lange verschlafenen Online-Handel investiert.

Kleine und mittlere Retailer haben begrenzte (Online-)Chancen.

Würden Migros und Coop zum Verlierer im Online-Handel gehören, wäre wohl E-Commerce das Übel aller Dinge.

Migros und Coop – Einkaufstourismus, Aldi & Lidl

Geht es selbst um Umsatzeinbussen ohne Einflussmöglichkeiten zu haben, so rollt die mediale Pressearbeit an. Ebenso wird die Lobby-Arbeit intensiviert.

Aldi und Lidl, ein Ärgernis

So der ehemalige Migros-Chef Herbert Bolliger zum «Lädeli-Sterben» – Interview Schweiz am Wochenende vom 9./10. Dezember 2017:

[lightgrey_box] «Vor zehn Jahren habe ich Gemeinden erlebt, die Blechhallen mit Parkplätzen vor dem Dorf bewilligten, und sich jetzt darüber wundern, dass sich das Dorf entleert und plötzlich der Metzger und der Bäcker dichtmachen. Die Gemeindepolitiker müssen sich schon selber an der Nase nehmen». [/lightgrey_box]

Wie widersprüchlich die Argumentation der Migros ist, zeigt

  • das stark ausgebaute Filialnetz an Tankestellen-Shops – Retail-Verkaufsstellen auf grünen Wiesen und an Randlagen hochgezogen.
  • Monopolstellung von Coop und Migros mit ihren Angeboten an Shops in/bei Schweizer Bahnhöfen.
  • Neu- und Umbauten von Supermärkten in Gemeinden. Beispielsweise Umbau Migros Gossau/ZH: «Dabei verdoppelte sich die Verkaufsfläche auf 1’500 Quadratmeter», zu lesen auf migros.ch

Einkaufstourismus

Möchte Herr und Frau Schweizer von den attraktiven Preisen und dem günstigen Wechselkurs EUR/CHF profitieren, so ist dies Migros und Coop ein Dorn im Auge.

«Steuerfreie Einkaufstouren nach Deutschland sollen in Zukunft nicht mehr möglich sein. Migros, Coop und Manor setzen sich für «Fairness bei der Mehrwertsteuer» ein».

Selbst jedoch, «Wasser predigen, Wein trinken»: Die Geschichte um die Migros mit den Druckerzeugnissen mit Auftragsvergabe nach Deutschland ist bekannt. Es gibt bestimmt zahlreiche andere Beispiele, wenn Migros und Coop die Masken ablegen und ihre wirtschaftlichen Eigeninteressen verfolgen. Ein Muster gefällig ohne Insider-Kenntnissen? Google-Suche reicht oder beispielsweise auf: Coop.ch/Impressum –  Webseiten-Konzeption- und Gestaltung durch ein deutsches Medienhaus mit Niederlassung in der Schweiz.

Dörfer und mittlere Städte sind entleert

Wer heute im Mittelland durch Dörfer und mittelgrosse Städte geht, sieht deutlich die Strukturprobleme.

Monokulturen Migros und Coop

Ja, Herbert Bolliger, Dörfer und Städte sind mit Ausnahme des Verkehrs entleert. Nicht jedoch ausschliesslich wie von Migros und Coop wiedergegeben durch Aldi, Lidl und dem Einkaufstourismus. Vielmehr hat auch die unerschöpfliche Marktkonzentration von Migros und Coop massgeblich zur Entleerung geführt – dies in vielerlei Hinsicht:

  • Nichtvorhandensein der Vielfalt des Detailhandels.
  • Einheitsgeschäfte aus den Migros- und Coop-Konzernen wie M-Electronics, Exlibris, Interdiscount, Christ, Import Parfumerien etc.
  • Bio-Supermarkt Alnatura.
  • Ausbau Tankstellen-Shops.
  • Doppelvertretung grossformatiger Coop und Migros-Verkaufsmärkten, selbst in kleineren Gemeinden.

Was bleibt ist der enorme Individualverkehr in Gemeinden und Städten. Unter anderem mitverursacht durch die grossformatigen Monokulturen von Migros und Coop.

Einkaufsverhalten

In Gesprächen höre ich: «Migros und Coop sorgen im Innenbereich von Dörfern und Gemeinden noch für etwas Leben.» Ja, antworte ich: Lärm- und Abgas-Emissionen sowie Unfallgefahren.

Meine Beobachtungen decken sich mit den Analysen der CS, Retail Outlook 2018:

  • Rund die Hälfte der Einkäufe werden mit dem Auto getätigt. Der Anteil auf dem Land ist mit 71% besonders hoch.
  • 79% der «Single Purpose Trip» tätigen ihren Einkauf mit dem Besuch eines Standorts.

Mit «Besuch eines Standorts» ist wohl mehrheitlich Migros und Coop gemeint. Das lokale Gewerbe profitiert davon kaum.

Aussterbende Vielfalt

Die No-Billag-Initiative war im Frühjahr das Thema. Die breite Öffentlichkeit und Gegner der Initiative argumentierten unter anderem mit dem Wegfall der (Medien-)Vielfalt.

Und die Vielfalt im stationären, lokalen und regionalen Handel und Gewerbe? Verdienen Bäckereien und Metzgereien, Sport- und Elektronikfachgeschäfte, Gastronomen etc. nicht auch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit?

Migros und Coop sind nicht nur verantwortlich für den Strukturwanden in Gemeinden und Städten. Jedoch meines Erachtens Teil des Problems.

Lesen Sie mehr in nächsten Teil, «Globalisierung verändert Lebensgewohnheiten, Gewerbevergände schauen in erster Linie zu sich selbst».


Kommentare

2 Antworten zu „Digitalisierung – Totengräber des Fachhandel“

  1. Wenn man die Ladenöffnungszeiten endlich mal freigeben würde, d.h. einkaufen auch am Wochenende und Sonntag möglich (sofern das Personal zusätzlich vergütet wird und maximale Wochenarbeitszeiten eingehalten werden) dann würde ich vielleicht auch wieder mehr in die Stadt zum Einkaufen gehen. So kaufe ich halt alles Online, weil ich am Samstag keine Zeit hab alles zu erledigen und unter der Woche arbeiten muss…

  2. michael wolf

    Ausgezeichneter Beitrag, Danke. Die einzigen, die die Moloche einschränken könnten, sind die Aldi und Lidl, sicher nicht unsere Politiker. Nur der Markt kann diese wachstumstollen Genossenschaften – wahre Todessterne im Kapitalimus – wieder bändigen.

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